2.1 Kompetenzbereiche und Inhaltsfelder des Faches Musik
Die übergeordnete Aufgabe des Faches Musik ist es, jungen Menschen kulturelle Orientierung zu ermöglichen und sie gleichermaßen dabei zu unterstützen, musikalisches Gestaltungspotential und musikalische Kreativität zu entfalten sowie künstlerisch-ästhetische Identität zu entwickeln. Deshalb ist es erforderlich, die in Kapitel 1 skizzierten handlungsbezogenen Kompetenzen fachwissenschaftlich und fachdidaktisch so zu verorten, dass sie als musikbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb der Lernprozesse erkennbar sind.
Kompetenzbereiche
Zur Verständigung über diese Lernprozesse werden drei untereinander vernetzte Kompetenzbereiche unterschieden, die die notwendigen handlungsbezogenen Kompetenzen bündeln. Im Vordergrund stehen dabei Produktionskompetenz, Rezeptionskompetenz und Reflexionskompetenz.
Die Kompetenzen in den drei Kompetenzbereichen bedingen und fördern sich wechselseitig. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Produktion und Rezeption, die sich in ihren fachtypischen Handlungsweisen ergänzen. Daher ist die Entwicklung von Rezeptionskompetenz eng geknüpft an den Aufbau von Kompetenzen im Bereich der Produktion.
Produktion
Handlungsbezogene Produktionskompetenz bezieht sich vor allem auf das Musizieren und Gestalten sowie die szenische, choreografische und bildnerische Umsetzung von Musik.
Sie ermöglicht unmittelbare Erfahrungen im Umgang mit Musik und kann daher Ausgangspunkt für die Thematisierung musikalischer Phänomene und musikbezogener Fragestellungen sein.
Musikalische Erfahrungen können zum einen durch die klangliche Nachgestaltung von Musik, etwa durch Instrumentalspiel, gemeinsames Singen oder in den vielfältigen Formen des Klassenmusizierens erworben werden. Andererseits können sich musikalische Erfahrungen auch durch das Erstellen und Umsetzen von kontextbezogenen Klanggestaltungen oder bearbeiteten musikalischen Strukturen sowie durch die gestalterische Umsetzung in andere Kunstformen wie Bewegungen und Bilder entfalten.
Bestandteile des Musizierens und Gestaltens sind auch das Erproben und Realisieren geeigneter musikalischer Mittel des subjektiven Ausdrucks sowie die Präsentation der Klangergebnisse. Das Erstellen eigener einfacher Klanggestaltungen setzt darüber hinaus auf einer elementaren Ebene planerische Kompetenzen voraus und entwickelt sie weiter.
Rezeption
Handlungsbezogene Rezeptionskompetenz bezieht sich vor allem auf das Beschreiben, Analysieren und Deuten von Musik.
Ausgangspunkt ist die individuelle Wahrnehmung. Die Beschreibung von Höreindrücken steht daher am Anfang des Rezeptionsprozesses. Von hier aus führt das Erfassen und Benennen musikalischer Strukturen beim Analysieren von Musik zu Deutungsansätzen und kontextbezogenen Fragestellungen. Dabei sind Analysieren und Deuten prozesshaft aufeinander bezogen und durchdringen sich gegenseitig. Die Deutung musikalischer Strukturen kann überdies zu weiteren Untersuchungsaspekten und neuen Fragestellungen führen.
Während die Fähigkeit zur Unterscheidung und Beschreibung musikalischer Parameter die Entwicklung und Differenzierung der Hörfähigkeit fördert, unterstützen und ermöglichen einfache Notationsformen das differenzierte Hören von Musik.
Reflexion
Handlungsbezogene Reflexionskompetenz bezieht sich vor allem auf das Erläutern und Beurteilen von Musik.
Grundlage sind sowohl die Ergebnisse des eigenen Musizierens und Gestaltens als auch die der Analysen und Deutungen von Musik. Diese Arbeitsergebnisse werden verbalisiert, nachvollziehbar veranschaulicht, gegebenenfalls schriftlich dargestellt und in thematische Zusammenhänge eingeordnet. Weiterführende Problemstellungen, Betrachtungsweisen, Thesen oder musikalische Zusammenhänge können von hier aus aufgegriffen und inhaltlich vertieft oder erweitert werden. Dabei geht es auch darum, Sachverhalte, Problemstellungen und Arbeitsergebnisse unter Einbeziehung von Fachwissen sachgerecht zu erörtern und begründet zu beurteilen.
Inhaltsfelder
Neben der Unterscheidung von Kompetenzbereichen erfordert die Verständigung über Lernprozesse im Fach Musik auch konkrete Bezüge zu fachlichen Inhalten und Gegenständen. Die Entwicklung musikbezogener Fähigkeiten und Fertigkeiten vollzieht sich in inhaltlichen Kontexten mit wechselnden thematischen Perspektiven. Diese werden durch Inhaltsfelder fokussiert, in denen sich fachliche Inhalte und Gegenstände konkretisieren und die eine Vielzahl von inhaltlichen Aspekten, Blickrichtungen und Zusammenhängen repräsentieren.
Musik besteht aus wahrnehmbaren und beschreibbaren Strukturen, die im Unterricht in vielfältiger Weise analysiert und gestaltet werden können. Grundlage der Strukturen von Musik sind die Ordnungssysteme der musikalischen Parameter Melodik, Rhythmik, Harmonik, Dynamik und Klangfarbe sowie formale Prinzipien und Aspekte. Sinnlich erfahrbare Bedeutung erlangen die Strukturen von Musik nur dadurch, dass sie im Rahmen inhaltlicher Zusammenhänge thematisiert werden. Die Strukturen von Musik sind deshalb integraler Bestandteil aller Inhaltsfelder mit ihren jeweils spezifischen Blickwinkeln auf musikalische Phänomene.Ausgangspunkt können semantische, historische oder funktionale Fragestellungen sein.
Vor dem Hintergrund der Vielzahl möglicher inhaltlicher Aspekte sowie mit Blick auf die Herstellung von sinnvollen Kontexten im Unterricht lassen sich drei Inhaltsfelder herausheben:
Inhaltsfeld 1: Bedeutungen von Musik
Die Wahrnehmung von Musik ist immer mit der Zuweisung von Bedeutung verbunden. Diese Bedeutung erhält Musik durch die Personen, die mit ihr umgehen, sei es nun als Komponist oder Interpret in einem kreativ schöpferischen Prozess oder als Hörer in einem wahrnehmenden, verarbeitenden Prozess.
Musik lässt sich so in ihrer Bedeutung auf vielfältige Weise mit inneren und äußeren Bildern, mit Bewegungen , Haltungen, Handlungen, mit räumlichen und zeitlichen Vorstellungen, mit Stimmungen, Gefühlszuständen und Emotionen in Verbindung bringen.
Solche Bedeutungszuweisungen und Ausdrucksvorstellungen sind untrennbar mit den Strukturmerkmalen von Musik verbunden. In der Regel verfügt jedes Genre von Musik über ein Repertoire an musikalischen Konventionen, die es ermöglichen, musikalische Strukturen auf vielfältige Weise mit Ausdrucksvorstellungen und Bedeutungszuweisungen in Verbindung zu bringen. Dieses Repertoire an Ausdruckskonventionen wird zum einen durch unterschiedliche Hörerfahrungen, zum anderen durch die Erfahrungen des eigenen Musizierens erworben. Es ermöglicht allen Beteiligten (Komponist, Interpret, Hörer), der Musik bestimmte Bedeutungen zuzuweisen. Dieser Zusammenhang wird im Musikunterricht bewusst gemacht und erweitert. Dazu wird Musik hinsichtlich ihrer Bedeutungsmöglichkeiten und der zu Grunde liegenden Ausdruckskonventionen befragt und absichtsvoll gestaltet.
Im Mittelpunkt des Inhaltsfeldes Bedeutungen von Musik steht insbesondere solche Musik, bei der der Bedeutungsaspekt im Vordergrund steht: Musik in Verbindung mit außermusikalischen Vorstellungen, Musik in Verbindung mit Sprache und Text oder auch Musik in Verbindung mit szenischem Spiel. Dabei bildet die Verwendung musikalischer Mittel zur Erzeugung von Ausdrucksvorstellungen einen Schwerpunkt der Betrachtungen.
Inhaltsfeld 2: Entwicklungen von Musik
Die geschichtliche Prägung und kulturelle Bindung von Musik stehen im Mittelpunkt dieses Inhaltsfeldes. Neben der entwicklungsgeschichtlich ausgerichteten Betrachtungsweise (diachrone Sicht) bietet sich hier auch gleichberechtigt die vergleichende Gegenüberstellung von nebeneinander existierenden, kulturell unterschiedlichen Phänomenen an, wie etwa verschiedene Klang- und Stimmideale oder unterschiedliche Rhythmusauffassungen (synchrone Sicht).
Die diachrone Betrachtung lenkt den Blick einerseits auf die Stilmerkmale und Gattungen, andererseits auch auf die ästhetischen Ideale und Gestaltungsprinzipien unterschiedlicher Epochen und Zeitabschnitte. Dabei wird deutlich, inwieweit Änderungen der Musiksprache und damit einher-gehende Wandlungen des Musiklebens mit gesellschaftlich-historischen Entwicklungen zusammenhängen.
Bei der synchronen Betrachtung wird deutlich, inwiefern Musiksprache auch als das Ergebnis der gegenseitigen Beeinflussung und Vermischung sehr unterschiedlicher kultureller Orientierungen, die in jeweils eigenen ästhetischen Vorstellungen zum Ausdruck kommen, gesehen werden kann.
Beide Betrachtungsweisen beziehen sowohl biografische wie auch kultur-, sozial- und ideengeschichtliche Einflüsse auf Musik mit ein. Dabei können die Musiksprachen ethnischer Kulturen und Aspekte der Globalisierung ebenso zum Gegenstand des Unterrichts werden wie Phänomene der Jugendkultur, der Unterhaltungsmusik, des Jazz, der abendländischen Kunstmusik und des öffentlichen Musiklebens.
Inhaltsfeld 3: Verwendungen von Musik
Verwendungszwecke und Funktionen, die Musik haben kann, wenn sie zur Erzeugung bestimmter Wirkungen eingesetzt wird, bilden den Schwerpunkt der Betrachtungen in diesem Inhaltsfeld.
In jeder Art des Umgangs mit Musik wird deutlich, dass mit der Wahrnehmung und dem sinnlichen Erleben bestimmte Wirkungen verbunden sind, die in Verwendungszusammenhängen gezielt genutzt werden können. Solche Funktionalisierungen von Musik gilt es im Unterricht bewusst zu machen und kritisch zu betrachten.
Im Mittelpunkt steht zum einen die mögliche politische, religiöse, rituelle oder auch kommerziell orientierte Beeinflussung und Wahrnehmungssteuerung durch Musik. Zum anderen zählen die Verbindungen von Musik mit weiteren künstlerischen Ausdrucksformen wie Text, Bild, Schauspiel oder Tanz sowie die multimedialen Erscheinungs- und Anwendungsformen von Musik zu den Gegenständen dieses Inhaltsfeldes.
Die vielfältigen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler im medialen Bereich, die sowohl den privaten wie auch den öffentlichen Gebrauch von Musik betreffen, können als Ausgangspunkt genutzt werden, um eine Bewusstmachung und Sensibilisierung in Bezug auf Wirkungsweise und Funktionalität von Musik zu entwickeln. Dabei werden die Zusammenhänge zwischen den musikalischen Strukturen, etwa in der Materialauswahl, der Klanggestaltung und der formalen Anlage, und den jeweils intendierten Wirkungen offen gelegt.
Das Zusammenwirken von Kompetenzbereichen und Inhaltsfeldern sowie die Ableitung von Kompetenzerwartungen verdeutlicht die nachfolgende Grafik: