1. Aufgaben und Ziele des Faches Chemie
Naturwissenschaft und Technik prägen unsere Gesellschaft in wesentlichen Aspekten und bestimmen damit auch Teile unserer kulturellen Identität. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse dienen als Basis für ein zeitgemäßes und aufgeklärtes Weltbild und liefern Grundlagen für bedeutende technische und gesellschaftliche Fortschritte. Beispiele dafür finden sich in der Entwicklung von neuen Materialien und Produktionsverfahren, vor allem in der Chemie, der Medizin, der Bio- und Gentechnologie, den Umweltwissenschaften sowie bei der Anwendung physikalischer Prinzipien in der Energieversorgung und der Informationstechnologie. Technischer Fortschritt beinhaltet jedoch auch Risiken, die erkannt, bewertet und beherrscht werden müssen und damit auch politische Entscheidungen beeinflussen. Für eine gesellschaftliche Teilhabe ist daher eine naturwissenschaftliche Grundbildung unverzichtbar.
Der Lernbereich Naturwissenschaften
Der Lernbereich Naturwissenschaften umfasst drei Perspektiven, unter denen die Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten in den Blick genommen werden:
Die Chemie untersucht und beschreibt die stoffliche Welt und deren Veränderungen. Stoff- und Energieumwandlungen werden hier durch Teilchen- und Strukturveränderungen und den Umbau chemischer Bindungen erklärt. Im Laufe ihrer historischen Entwicklung lieferte die Chemie Erkenntnisse über den Aufbau und die Herstellung von Stoffen sowie für den sachgerechten Umgang mit ihnen. Der Chemieunterricht vermittelt Kenntnisse über wichtige Stoffe und chemische Reaktionen und versetzt Schülerinnen und Schüler so in die Lage, Phänomene der Lebenswelt zu erklären. Sie verknüpfen experimentelle Ergebnisse mit Modellvorstellungen und erlangen ein tieferes Verständnis von chemischen Reaktionen und Stoffeigenschaften. Sie erkennen die Bedeutung der Wissenschaft Chemie, der chemischen Industrie und der chemierelevanten Berufe für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt.
Der Beitrag der Biologie liegt in der Auseinandersetzung mit dem Lebendigen auf verschiedenen Systemebenen von der Zelle über Organismen bis hin zur Biosphäre. Biologisches Verständnis erfordert, zwischen den verschiedenen Systemen gedanklich zu wechseln und unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Biologische Erkenntnisse betreffen uns Menschen als Teil und als Gestalter der Natur. Mit Hilfe biologischer Fragestellungen wird Schülerinnen und Schülern die wechselseitige Abhängigkeit von Mensch und Umwelt bewusst. Der Unterricht eröffnet ihnen außerdem Einblicke in Bau und Funktion des eigenen Körpers und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitserziehung und Lebensplanung. Neuere Entwicklungen vor allem im Bereich Nahrungsversorgung und Medizin zeigen die zunehmende Bedeutung der Biologie für technologische Lösungen.
Die Physik verfolgt das Ziel, grundlegende Gesetzmäßigkeiten der Natur zu erkennen und zu erklären. Dazu ist es notwendig, Wirkungszusammenhänge in natürlichen und technischen Phänomenen präzise zu modellieren, um auf dieser Basis Vorhersagen zu treffen. Empirische Überprüfungen der Modelle und ihrer Vorhersagen durch Experimente und Messungen sind charakteristische Bestandteile einer spezifisch naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode und einer besonderen Weltsicht. Im Physikunterricht finden die Schülerinnen und Schüler vielfältige Anlässe, interessante natürliche und technische Phänomene unter eigenen Fragestellungen zu erkunden und physikalische Modelle zur Erklärung zu nutzen. Sie erkennen, wie Ergebnisse der Physik in nicht unerheblichem Maße ihre Lebenswelt formen und verändern. Sie gewinnen ein grundlegendes physikalisches Verständnis ihrer Lebenswelt, insbesondere auch zur Bewältigung technischer Alltagsprobleme.
Bildungsstandards und naturwissenschaftliche Grundbildung
Die Fächer im Lernbereich Naturwissenschaften leisten einen gemeinsamen Beitrag zum zentralen Bildungsziel einer naturwissenschaftlichen Grundbildung. Gemäß den für alle Bundesländer verbindlichen Bildungsstandards[1] beinhaltet diese, Phänomene erfahrbar zu machen, die Sprache und Geschichte der Naturwissenschaften zu verstehen, ihre Erkenntnisse zu kommunizieren sowie sich mit ihren spezifischen Methoden der Erkenntnisgewinnung und deren Grenzen auseinander zu setzen. Typische theorie- und hypothesengeleitete Denk- und Arbeitsweisen ermöglichen eine analytische und rationale Betrachtung der Welt. Sie lassen sich auch an Beispielen aus der Geschichte der Naturwissenschaften gut verdeutlichen. Naturwissenschaftliche Grundbildung ermöglicht eine aktive Teilhabe an gesellschaftlicher Kommunikation und Meinungsbildung über technische Entwicklungen und naturwissenschaftliche Forschung und ist deshalb wesentlicher Bestandteil von Allgemeinbildung.
Die vorliegenden Lehrpläne greifen die Vorgaben der Bildungsstandards auf und konkretisieren in zwei Progressionsstufen die Kompetenzen
, die als Ergebnis des Unterrichts erwartet werden. Schülerinnen und Schüler erreichen im Fachunterricht Chemie die Kompetenzerwartungen der ersten Stufe in der Regel nach etwa einem Drittel der bis Ende des Jg. 10 vorgesehenen Unterrichtszeit. Sie erwerben neben einem rationalen Verständnis der erlebten Welt notwendige Basiskenntnisse und Kompetenzen für die Bewältigung von Anforderungen in zahlreichen Berufsfeldern sowie Voraussetzungen für ein anschlussfähiges, lebenslanges Lernen.
Vernetzung naturwissenschaftlichen Wissens über Basiskonzepte
In Anlehnung an die Bildungsstandards werden den naturwissenschaftlichen Fächern die folgenden Basiskonzepte zugeordnet. Basiskonzepte haben wichtige strukturierende und orientierende Funktionen: Sie beinhalten zentrale, aufeinander bezogene Begriffe, Modellvorstellungen und Prozesse sowie damit verknüpfte Handlungsmöglichkeiten. Als Konzepte mit besonderer Bedeutung und Reichweite eigenen sie sich besonders gut zur Vernetzung des Wissens. Sie ermöglichen außerdem, Sachverhalte situationsübergreifend aus bestimmten Perspektiven anzugehen:
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Basiskonzepte |
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Biologie |
System |
Struktur und Funktion |
|
Entwicklung |
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Chemie |
Struktur der Materie |
Energie |
Chemische Reaktion |
|
Physik |
System |
Struktur der Materie |
Energie |
Wechselwirkung |
Basiskonzepte erleichtern den kontinuierlichen Aufbau von fachlichen Kompetenzen im Sinne kumulativen Lernens. Sie werden Schritt für Schritt durch alle Jahrgangsstufen hindurch in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder aufgegriffen und weiter ausdifferenziert. Somit bilden sie übergeordnete Strukturen im Entstehungsprozess eines vielseitig verknüpften Wissensnetzes.
Einige Basiskonzepte bieten als strukturierende Elemente in mehreren Fächern besondere Gelegenheiten zur Vernetzung der Fächer untereinander. Beispielsweise führt das Basiskonzept Struktur der Materie sowohl in der Physik als auch in der Chemie von einfachen Beschreibungen von Stoffeigenschaften über Modelle des elektrischen Ladungstransports bis hin zu differenzierten Atommodellen und zu Modellen des Aufbaus von Materie. Das Basiskonzept System fokussiert in den Fächern Biologie und Physik auf unterschiedliche, allerdings sich ergänzende und nicht gegensätzliche Gesichtspunkte, verdeutlicht also neben Gemeinsamkeiten auch spezifische Sichtweisen der Einzelwissenschaften.
Fachübergreifende Vernetzung
In der Auseinandersetzung mit komplexen Zusammenhängen vernetzen Schülerinnen und Schüler Kompetenzen und Erkenntnisse, die unter den Perspektiven der verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen, aber auch in Verbindung mit weiteren Fächern erworben wurden.
Der vorliegende Kernlehrplan bietet vor allem viele Möglichkeiten zur Einbindung technischer Sachverhalte und zur Reflexion über Vorteile und Risiken der technischen Nutzung naturwissenschaftlicher Kenntnisse, z. B. in den Bereichen Klimaveränderungen, Energieversorgung und Kommunikationstechnik.
Die Naturwissenschaften haben außerdem vielfältige Berührungspunkte zum Fach Mathematik. Eine Abstimmung zwischen Naturwissenschaften und Mathematik ermöglicht Synergieeffekte in der spezifischen Kompetenzentwicklung beider Lernbereiche. Dieses gilt z. B. für Kompetenzen im Umgang mit Werkzeugen, etwa die Nutzung einer Tabellenkalkulation sowie das Anfertigen von Diagrammen, oder Modellierungen naturwissenschaftlicher Zusammenhänge u. a. durch proportionale Zuordnungen und einfache Funktionen.
Bedingungen des naturwissenschaftlichen Unterrichts in der
Realschule
Der Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern der Realschule baut auf dem Sachunterricht der Grundschule auf. Kompetenzen sollen in Kontexten entwickelt werden, die gleichermaßen von Schülerinnen als auch von Schülern als sinnvoll wahrgenommen werden. Schülerinnen und Schüler bringen aufgrund ihrer unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Sozialisation verschiedene motivationale Voraussetzungen für den naturwissenschaftlichen Unterricht mit. Ein Unterricht, der diesen Sachverhalt berücksichtigt, muss insbesondere Mädchen dazu ermutigen, ihr Interesse für naturwissenschaftlichen Unterricht selbstbewusst zu verfolgen und so ihre Fähigkeiten und Entwicklungspotentiale zu nutzen.
Durch Lebenswelt- und Praxisbezüge leistet der Unterricht auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit und Berufsorientierung[2]. Er unterstützt sowohl Mädchen als auch Jungen darin, die Bedeutung naturwissenschaftlicher Kompetenzen für sich selbst und für verschiedene Berufsfelder zu erkennen. Dabei ist auf Anschlussfähigkeit der Kompetenzentwicklung zu achten, um Schülerinnen und Schülern Übergänge zu Berufskollegs, in die gymnasiale Oberstufe und in andere weiterführende Ausbildungsgänge zu ermöglichen. In allen naturwissenschaftlichen Fächern wird darüber hinaus die Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklung vermittelt. Sicherheitsaspekte[3], Gesundheits- und Verkehrserziehung, Medienbildung sowie die Förderung der deutschen Sprache werden ebenfalls einbezogen[4].
Der Unterricht liefert einen Beitrag für die in der Realschule angestrebte erweiterte allgemeine Bildung, indem vorhandene Neigungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler aufgegriffen und entsprechende Fähigkeiten und Leistungen gefördert werden. Dies geschieht auch in speziellen Wahlpflichtangeboten, in besonderen Fällen auch in Profilzweigen mit verstärkten mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichtsanteilen.
Im Anfangsunterricht der naturwissenschaftlichen Fächer geht es zunächst hauptsächlich um das Kennenlernen und die Erkundung lebensnaher naturwissenschaftlich-technischer Phänomene und Arbeitsweisen. Durch Lernprozesse, die aktives, praxis- und problemorientiertes Handeln ermöglichen, sollen Interesse und Motivation zur Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen geweckt und gesteigert werden. Im weiteren Unterricht gibt eine vertiefte Beschäftigung mit spezielleren fachlichen Problemen Schülerinnen und Schülern Gelegenheiten, ihre individuellen Fähigkeiten bezüglich naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen einschätzen zu lernen und damit Weichenstellungen zur künftigen Berufswahl vorzubereiten. Besonders in Praktikumsphasen und im Rahmen von Kooperationen mit Berufskollegs können Lernende Verbindungen zu Gelerntem herstellen, fachbezogene Informationen einholen und Tätigkeiten und Ausbildungsvoraussetzungen erkunden.
[1] Vereinbarung über Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10) in den Fächern Biologie, Chemie, Physik (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom
[2] Richtlinien zur Berufs- und Studienorientierung BASS 12-21 Nr. 1
[3] Zu beachten sind die Richtlinien zur Sicherheit im Unterricht an allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen (RISU-NRW) in ihrer jeweils aktuellen Fassung.
[4] APO-SI § 6 (6) „Förderung in der deutschen Sprache als Aufgabe des Unterrichts in allen Fächern“