Konzeptionelle Überlegungen
Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit
Lernzeiten können ein Instrument zur Etablierung von Chancengleichheit sein, wenn Lernangebote sich nicht an einem durchschnittlichen Leistungsniveau orientieren, sondern die unterschiedlichen Ausgangslagen, Neigungen und Bedarfe von Schülerinnen und Schülern berücksichtigen. Hilfreich können hier u.a. unterschiedliche Lernzugänge (z.B. verschiedene Aufgabenformate), eine Differenzierung nach Schwierigkeit oder Aufgabenmenge oder auch wechselnde Arbeits- und Sozialformen sein. (Vgl. Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2018, Kapitel 8 PDF, 2 MB) Dies ist in Lernarrangements dann möglich, wenn die Lernenden Aufgaben erhalten, die auf ihre individuellen Kenntnisstände zugeschnitten sind.
Verständnis von Unterricht: Individualisiertes Üben
Wird intensive und konzentrierte Übungszeit als natürlicher Bestandteil des Unterrichts verstanden, so ist es naheliegend, den Schülerinnen und Schülern im schulischen Rahmen des Unterrichts Zeiträume zu eröffnen, in denen sie üben können. Üben wiederum müssen Lernende individuell – was der eine bereits beherrscht, fällt dem anderen noch schwer. Effektive Übungszeiten bieten daher immer individualisierende Aufgabenstellungen und Hilfestellung an, die an den jeweiligen Lern- und Kenntnisstand angepasst sind.
Veränderte Lehrerrolle
Lernzeiten bieten im Vergleich zu Hausaufgaben den Vorteil, dass die Lehrkraft als Berater und Coach zur Verfügung steht. Sie beobachtet das Arbeitsverhalten der Schülerinnen und Schüler, zieht Rückschlüsse über deren Stärken und Schwächen und reflektiert mit ihnen gemeinsam, welche Lernziele die nächsten sein können. Hierfür hat die Lehrkraft in der Lernzeit deutlich mehr Kapazitäten als im herkömmlichen Unterricht. Wie wichtig die begleitende Funktion und ein konstruktives Feedback durch Lehrerinnen und Lehrer sind, betont auch John Hattie wenn er sagt: „[Es] gilt für die Schüler: Wenn Feedback keine Informationen zu den nächsten Schritten enthält, neigen sie dazu, es nicht zu nutzen. Schüler wollen Feedback für sich selbst, genau zur richtigen Zeit, sodass es ihnen einen Schubs gibt und hilft weiterzukommen.“ Diese Form einer Begleitung des Arbeitsprozesses hin zu einer zunehmend selbstständigen Arbeitsweise ist in Lernzeiten möglich, wenn diese individualisierte Lernarrangements beinhalten und beispielsweise Lernziele und Lernstände mit Hilfe von Kompetenzrastern transparent machen.
Wie können gelingende Konzepte aussehen und entwickelt werden?
Die hier vorgestellten Lernzeitenkonzepte sind jeweils in Gesamtkonzepte integriert und zeigen auf unterschiedliche Weise, wie die Implementation von Lernzeiten gelingen kann.
Folgende Kriterien erfüllen die vorgestellten Modelle für Lernzeiten:
- Hoher Grad an selbstständiger und aktiver Arbeit der Schülerinnen und Schüler
- Individualisierung von Lernprozessen, analoge und digitale Aufgaben und Lernsettings
- Raumkonzepte und ritualisierende Hilfsmittel, die das Konzept unterstützen
- Veränderte Lehrerrolle hin zu einem beratenden Coach
- Klare organisatorische Rahmenbedingungen als Grundlage für ein Maß an Lernzeit, das echte Effekte zeigen kann
- Rechtliche, organisatorische und finanzielle Umsetzbarkeit innerhalb der Bedingungen einer staatlichen Schule
Unabhängig von den jeweiligen Gesamtkonzepten, die jeweils ein umfassendes Gesamtgefüge an Bausteinen, Ritualen, Organisationsformen etc. enthalten, bieten die hier vorgestellten Praxisbeispiele Anregung und Hilfestellung, wie Lernzeiten organisiert und mit welchen Materialien sie umgesetzt werden können. Entscheidend für den Umsetzungsprozess ist, dass ein Modell für Lernzeiten gefunden und weiterentwickelt wird, das den speziellen Bedingungen und Wünschen der jeweiligen Schule entspricht. Viele der einzelnen Bausteine der vorgestellten Praxisbeispiele lassen sich auch losgelöst vom Gesamtkonzept als Anregung nutzen und häufig ohne großen Aufwand in den Schulalltag integrieren.
Lernzeitenkonzepte implementieren und weiterentwickeln
Die Erstellung eines gemeinsamen Konzepts ist für die Erreichung der mit Lernzeiten verbundenen Ziele von großer Bedeutung: Die Bildungsberichterstattung Ganztagsschule NRW zeigt, dass es eher zu einem Austausch über die Lernzeiten, einer gemeinsamen (Weiter-)Entwicklung von Materialien und einer gegenseitigen Unterstützung der Lehrkräfte untereinander kommt, wenn sich diese bei der Gestaltung von Lernzeiten an einem gemeinsamen Konzept orientieren. Auch ein Austausch über die Schülerinnen und Schüler und ihre individuelle Förderung findet dann in höherem Maße statt. Insgesamt werden die angestrebten Ziele von Lernzeiten (Unterstützung beim Kompetenzerwerb, Individuelle Förderung, Selbstständiges Lernen) mit einem gemeinsamen Konzept umfänglicher erreicht (vgl. Altermann et al. 2018, S. 104 ff.).
Die Verwirklichung von Lernzeiten an einer Schule setzt verschiedene Handlungsschritte voraus. Diese können abhängig vom aktuellen Entwicklungsprozess der Schule und von der Zielrichtung bei der Weiterentwicklung des Lernzeitenkonzepts modifiziert werden.
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Weiterführende Informationen
- Bildungsbericht Ganztagsschule NRW 2018, Kapitel 8 (PDF, 2 MB)
- Ganztagsschule – Von Hausaufgaben zu Lernzeiten (PDF, 2,5 MB)
- Boßhammer, Herbert et al. (2009): Ganztagsschule – Von Hausaufgaben zu Lernzeiten. In: Althoff, Kirsten et al. (Hrsg.): Der Ganztag in der Sekundarstufe I. Eine Handreichung für Schulen und weitere Partner im Ganztag der Sekundarstufe I. Der GanzTag in NRW. Beiträge zur Qualitätsentwicklung. Heft 12. S. 17-24.
- Und auf einmal geb´ ich keine Hausaufgaben mehr auf... – Die Hausaufgabe im Fokus: Lernzeiten(-Konzepte) in Ganztagsschulen
Fiegenbaum, Dirk (2015): Und auf einmal geb´ ich keine Hausaufgaben mehr auf... – Die Hausaufgabe im Fokus: Lernzeiten(-Konzepte) in Ganztagsschulen. In: Die BASS von A bis Z. Erläuterungen und Handlungsempfehlungen für die Schulpraxis in NRW. Heft 15. Frechen: Ritterbach-Verlag.
- Von Hausaufgaben zu Lernzeiten oder: anders üben
Lüke, Stephan (2015). Von Hausaufgaben zu Lernzeiten oder: anders üben. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
- Lernzeiten am Gymnasium, Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Praxisbeispiele (PDF, 1,2 MB)
Gerken, Ute (Hrsg.) (2014): Lernzeiten am Gymnasium - Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Praxisbeispiele. Lernpotenziale. Heft 2. Münster: Serviceagentur „Ganztägig Lernen“ NRW, Institut für soziale Arbeit e. V.
- Lernstrategien. Neurodidaktische Zugänge zur Gestaltung von Lernzeiten (PDF, 1,2 MB)
Schirp, Heinz: Lernstrategien. Neurodidaktische Zugänge zur Gestaltung von Lernzeiten. In: Gerken, Ute (Hg.): Lernzeiten am Gymnasium, 2014
- Lernarrangements. Rahmen für Herausforderung und Unterstützung
Horstkemper, Marianne (2014): Lernarrangements. Rahmen für Herausforderung und Unterstützung. In: Pädagogik. Heft 10. S. 6-10.
- Hausaufgaben und Lernzeiten aus Sicht der pädagogischen Kräfte und Kinder
Nordt, Gabriele (2010): Hausaufgaben und Lernzeiten aus Sicht der pädagogischen Kräfte und Kinder. In: Wissenschaftlicher Kooperationsverbund (Hrsg.): Lernen und Fördern in der offenen Ganztagsschule. Weinheim, München. S. 269-316.
- Hausaufgaben und selbständiges Lernen (PDF, 155 KB)
Ilse Nilshon: Hausaufgaben und selbständiges Lernen
- Wie "frei" sind Freie Lernzeiten? Steinige Wege zum selbstbestimmten Lernen
Thurn, Susanne (2016): Wie "frei" sind Freie Lernzeiten? Steinige Wege zum selbstbestimmten Lernen. In: Pädagogik. Heft 3. S. 6-9.
- Individualisiertes Lernen - Chancen für alle
Informationen der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung aus dem Programm „Ideen für mehr! Ganztägig bilden.“
- John Hattie im Interview zu Visible Learning: „Schüler wollen Feedback“
Publikationen
- "Lernzeiten - Lernchancen" (PDF, 2,6 MB)
- "Individuell, interaktiv, vielfältig. Medien im Ganztag nutzen" (PDF, 8,5 MB)
Im Kontext
- Ministerium für Schule und Bildung NRW
- Serviceagentur Ganztägig Lernen NRW
- Deutsche Kinder- und Jugendstiftung - "Ganztägig bilden"
- "Lernen im Ganztag LiGa - länderübergreifend
- "Leben und Lernen im Ganztag" - LiGA NRW
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