Zuhören
Zuhören ist wie das Lesen und Schreiben in allen Fächern bedeutsam. Die Fähigkeit, konzentriert Zuhören zu können, erwerben viele Schülerinnen und Schüler nicht nebenbei, sondern wie das Sprechen muss auch das Zuhören im Unterricht angeleitet erlernt werden. Im Folgenden wird erklärt, wie Zuhören theoretisch modelliert wird und wie es sich vom Lesen unterscheidet, es werden Zuhörstrategien vorgestellt und Möglichkeiten aufgezeigt, wie das Zuhören im Unterricht unterstützt werden kann.
Was bedeutet Zuhören?
Während die Fähigkeit zu hören nicht spezifisch erworben werden muss, ist das Zuhören eine Fähigkeit, die sich erst nach und nach ausbildet. Zuhören wird als ein mehrstufiger Prozess der Informationsverarbeitung modelliert. Kompetente Zuhörerende können diesen Prozess aktiv steuern und regulieren: Sie sind in der Lage, zu definieren, wozu sie was, wann, wie, von oder mit wem und wo aufnehmen. Die folgende Tabelle konkretisiert, was diese Aspekte im Einzelnen für das Zuhören bedeuten (Imhof 2010, S. 20):
Was unterscheidet Zuhören und Lesen?
Lesen und Zuhören unterscheidet sich durch die Flüchtigkeit des Signals. Während man sich beim Lesen eines Textes zunächst einen Überblick über den Text verschaffen kann, unbekannte Wörter oder schwerverständliche Textteile mehrfach lesen und besonders genau lesen kann, ist dies beim Zuhören durch die Flüchtigkeit des Signals nicht möglich. Der Zuhörer kann sich keinen Überblick verschaffen. Er muss dem Gehörten gut folgen, will er alle Informationen verstehen. Zuhören erfordert daher eine stärkere mentale Präsenz der Zuhörenden. Gleichzeitig kann durch paraverbale Signale wie
- Sprechpausen,
- Aussprache,
- Lachen,
- Seufzen,
- Lautstärke,
- Tonlage,
- Sprachmelodie
- oder Schweigen
die Verarbeitung der Informationen unterstützt werden. Diese paraverbale Ebene fällt beim Lesen weg, es sei denn, Entsprechendes ist im Text sprachlich markiert (Zingg Stamm et al. 2016).
Trotz dieser Unterschiede ist das Kompetenzmodell für das Zuhören, das u.a. der Lernstandserhebung VERA-8 zugrunde liegt, in seinen Begrifflichkeiten deckungsgleich mit dem entsprechenden Lesekompetenzmodell. Deutlich wird aber auch hier, dass beim Zuhören das Memorieren eine besondere Rolle spielt (siehe Stufe 4):
- Stufe 1a: Wiedererkennen und Wiedergeben prominenter Einzelinformationen
- Stufe 1b: Benachbarte Informationen miteinander verknüpfen
- Stufe 2: Informationen miteinander verknüpfen und den Hörtext einem Genre (Textsorte) zuordnen
- Stufe 3: Verstreute Informationen miteinander verknüpfen, der Vorlage paraverbale Informationen abgewinnen und den Hörtext ansatzweise als Ganzen erfassen
- Stufe 4: Auf der Ebene des Hörtextes wesentliche Zusammenhänge erkennen, die Gestaltung reflektieren und weniger prominent platzierte Einzelinformationen erinnern
- Stufe 5 Anspruchsvolle Rezeptionsleistungen, Interpretieren, Begründen und Bewerten
Eine detaillierte Beschreibung der genannten Kompetenzstufen
Was sind Zuhörstrategien?
Wie Lesen und Schreiben, so ist auch das Zuhören ein Prozess, den die Zuhörenden steuern und überwachen können. Zuhörstrategien lassen sich einteilen in Strategien vor, während und nach dem Zuhören.
Die Schülerinnen und Schüler…
- bauen strategiegeleitet eine Hörerwartung auf (Vorwissen aktivieren, eine Hörhaltung einnehmen, sich auf Störgeräusche einstellen, sich der Sprachquelle oder Person zuwenden),
- wählen gehörte Informationen strategiegeleitet aus (den Hörauftrag beachten, [digitale] Notizen machen, Skizzen erstellen, wiederholtes Hören),
- organisieren gehörte Informationen strategiegeleitet (Fragen formulieren und beantworten, gezielt Nachfragen stellen, passende Strukturhilfen nutzen),
- setzen Strategien ein, um gehörte Informationen zu memorieren und zu verstehen (nacherzählen, zusammenfassen, visualisieren),
- begründen die Auswahl von Hörstrategien für das Verstehen eines Textes.
Quelle: Lehrplan Deutsch in der Primarstufe. Ministerium für Schule und Bildung des Landes NordrheinWestfalen (MSB), 2021, S. 20–21
Wie kann das Zuhören im Unterricht unterstützt werden?
Möglichkeit 1: Reziprokes Zuhören
In Analogie zum reziproken Lesen können Zuhörstrategien in der Kleingruppe durch reziprokes Zuhören eingeführt und verfestigt werden. In einer Vierer-Gruppe werden die folgenden Aufgaben verteilt, für die jeweils ein Gruppenmitglied verantwortlich ist:
- unbekannte Wörter und Begriffe klären
- Fragen stellen, die beantwortet werden
- die Hauptaussage des Gehörten zusammenfassen
- vorhersagen, worum es im nachfolgenden Abschnitt gehen könnte auf der Basis der bisherigen Informationen
Zur Vorbereitung muss ein entsprechender Hörtext in gleich lange Sequenzen unterteilt werden. Es bietet sich an, den Hörtext vorab einmal komplett zu hören, um die nachfolgende Erschließung zu entlasten. Nach jeder Sequenz wendet die Gruppe reihum die oben genannten Strategien an. Wenn diese Gruppe mit der Herangehensweise vertraut ist und sich sicher fühlt, können die Aufgaben nach jeder Sequenz auch innerhalb der Gruppe reihum wechseln.
Geeignete Hörtexte
Möglichkeit 2: Die Mitschreibpyramide
Das konzentrierte Zuhören längerer Texte erfordert es, dass sich die Lernenden Notizen machen. Dies kann im Unterricht durch die sogenannte Mitschreibpyramide unterstützt werden. Die Mitschreibpyramide gibt ein Suchschema vor, in das die Schülerinnen und Schüler, nach Themen geordnet, Informationen schreiben. Sie hilft ihnen so, die Hörtexte schon während des Zuhörens inhaltlich zu erfassen.
Ein Beispiel für die Nutzung der Mitschreibpyramide im Deutschunterricht finden Sie hier:
Mitschreibpyramide Beispiel Arbeitsblatt 2023 (PDF, 102KB)
Mitschreibpyramide Beispiel Schülerlösung 2023 (PDF, 1,9MB)
Literatur
Imhof, Margarete: Zuhören lernen und lehren – Psychologische Grundlagen zur Beschreibung und Förderung von Zuhörkompetenzen in Schule und Unterricht. In: Bernius, V./ Imhof, M. (Hrsg.): Zuhörkompetenz in Schule und Unterricht. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2010, S. 15–30.
Zingg Stamm, Claudia/Käser-Leisibach, Ursula/Behrens, Ulrike/Krelle, Michael/Weirich, Sebastian: Neue Aufgabenformate für die Messung von Zuhörkompetenzen. In: Keller, S./Reintjes, C. (Hrsg.): Aufgaben als Schlüssel zur Kompetenz. Didaktische Herausforderungen, wissenschaftliche Zugänge und empirische Befunde. Waxmann: Münster/New York 2016, S. 129–140.