Einleitung
In unserer globalisierten Welt sind Anforderungen komplexer, Handlungsoptionen vielfältig und durch die Digitalisierung in kürzester Zeit realisierbar. Die Gesellschaft wird u.a. in Hinblick auf Sprachen, Familienkonstellationen, Lebensentwürfe und Familientraditionen heterogener und bietet dem Bildungssystem neue Chancen in der Zusammenarbeit mit inner- und außerschulischen Partnerinnen und Partnern.
Jede Schule hat bereits auf diese Veränderungen reagiert, einige haben sich auf den Weg gemacht, andere haben schon eine gute Strecke der Weiterentwicklung hinter sich. Egal, an welcher Stelle Sie sich im Prozess befinden, die Handreichung möchte Sie darin unterstützen, Ihre Netzwerkarbeit zu fokussieren, da sie diese versteht als…
• Basis und Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Bewältigung der komplexeren Anforderungen an Schule.
• Möglichkeit für synergetisches Handeln mit dem Ziel, arbeitserleichternd zu wirken.
• Teil der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeiten, auf die die Schule vorbereitet,
• Notwendigkeit, um möglichst vielfältige, individuelle Unterstützungs- und Beratungsmaßnahmen anbieten zu können.
Begriffsklärung
In dem vorliegenden Dokument wird überwiegend der Begriff „Netzwerk“ verwendet, verstanden als „personenbezogenes Beziehungsgeflecht von Personen, die ein gemeinsames Basisinteresse verfolgen“ (Berkemeyer et al., 2008, zit. n. Jungermann et al. 2018, S. 9). Der Begriff steht stellvertretend für eine Kommunikationsstruktur, die innerhalb eines Systems existiert (z.B. in der Schule), gleichrangig mit anderen Systemen bestehen kann (z.B. von Schule zu Schule oder zwischen Schule und Jugendhilfe), thematisch variierend ausgerichtet sein kann (z.B. zum Fachthema Gewaltprävention) und unterschiedliche Zielgruppen fokussiert (z.B. Schülerinnen und Schüler²). Abhängig von den Bedarfen der unterschiedlichen Zielgruppen können Netzwerke aktiv oder passiv sein.
Mit schulischen Beratungs- und Unterstützungsnetzwerken sind hier demnach inner- und außerschulische Kooperationsstrukturen gemeint, die unter Mitwirkung verschiedener Professionen und in Bezug auf unterschiedliche Themen rund um Bildung, Erziehung, Prävention und Persönlichkeitsentwicklung Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Schülerinnen und Schüler, Familien sowie die Lehr- und Fachkräfte einer Schule bereithalten.
Nach Rolff (2016) kommt der (multiprofessionellen) Kooperation in Bildungsnetzwerken eine zentrale Bedeutung zu.
„(…) Für Netzwerke ist allerdings horizontale Kooperation angemessener, also eine Kooperation auf Augenhöhe zum gegenseitigen Nutzen. Für diese Art von Kooperation ist gegenseitiges Vertrauen Voraussetzung und zwar Vertrauen, das nicht auf Beschwörungen beruht, sondern auf gemeinsam vereinbarten und transparenten Verfahrensregeln. Kooperation bedeutet Lockerung, Ausweitung oder gar Auflösung von Grenzen. Kooperation bedeutet aber in der Substanz mehr als Grenzenerweiterung, nämlich Austausch und Zusammenarbeit. Kooperationen sind die Voraussetzung für das Entstehen innovativer Bildungsnetzwerke.“ (Rolff, 2016, S. 23)
Entsprechend liegt auch in der vorliegenden Handreichung ein besonderer Fokus auf der multiprofessionellen Zusammenarbeit in den schulischen Beratungs- und Unterstützungsnetzwerken.
Um Missverständnissen vorzubeugen, wird in der Handreichung der Begriff des Beratungsteams vermieden. Unter „Beratungsteam“ wird vor Ort abhängig von personellen Ressourcen und/ oder fachlichen Kompetenzen Unterschiedliches verstanden. So kann „das Beratungsteam“ sein:
• das Team der Beratungslehrkräfte oder
• ein Team bestehend aus Klassenlehrkräften, Fachkräften der Sonderpädagogik und der Schulsozialarbeit oder
• das schulische Team für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention³.
Eine vertiefende Begriffsklärung zu multiprofessionellen Beratungs- und Unterstützungsnetzwerken erfolgt in Kapitel 2.1 durch Prof. Dr. Karsten Speck.
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² In der vorliegenden Handreichung wird bewusst die Formulierung „Schülerinnen und Schüler“ verwendet, da sich volljährige Schülerinnen und Schüler nicht unter dem Begriffspaar „Kinder- und Jugendliche“ subsumieren lassen. Schülerinnen und Schüler werden hier demnach verstanden als junge Menschen [oder Kinder, Jugendliche und junge Volljährige], die im organisatorischen Rahmen einer Schule lernen.
³ Das „Schulteam für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention“ ist ein vom MSB NRW empfohlenes, an Schule einzurichtendes Team, das sowohl präventiv als auch interventiv tätig ist bzw. die Koordinierung und Initiierung von Abläufen übernimmt (vgl. ausführliche Informationen im Notfallordner für die Schulen in Nordrhein-Westfalen.
Ziele der Handreichung
Was leistet die Handreichung?
Die Handreichung möchte die Bedeutung des inner- und außerschulischen Beratungsnetzwerks herauskristallisieren, indem sie Aspekte konkretisiert wie…
• Schule ist Ort der Beratung und der Unterstützung einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern,
• Beratung ist Aufgabe aller pädagogisch Handelnden in Schule,
• Beratung- und Unterstützungsangebote sind gemeinsame, aufeinander abgestimmte Aufgaben von und in Schule,
• die Möglichkeit einer positiven Weiterentwicklung der Schulkultur durch gelebte präventive Maßnahmen und transparente Netzwerke,
• synergetisches, lebensnahes Handeln in enger Kooperation mit außerschulischen Partnerinnen und Partnern im Sozialraum.
Mit Hilfe der Handreichung soll...
• ein Schulentwicklungsprozess unterstützt werden,
• ein Beitrag zur Entwicklung einer positiven Lern- und Schulkultur als Basis für erfolgreiche Bildungsarbeit geleistet werden,
• für das bestehende Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk sensibilisiert werden,
• die Bedeutung des schulischen Beratungs- und Unterstützungsnetzwerks als ein Baustein des Beratungskonzepts verdeutlicht werden,
• die Weiterentwicklung eines Beratungs- und Unterstützungsnetzwerks initiiert werden.
„Eckpunkte einer schulinternen Beratungs- und Unterstützungsstruktur (…)
Diese müssen:
a) transparent, verlässlich und durch regelmäßige und leicht verständliche Informationen allen bekannt sein (Wissen über Abläufe, Zuständigkeiten, Anlaufstellen, Prinzipien der Vertraulichkeit etc.),
b) eine Pluralität von Personen, Zugangswegen und Formen der Beratung, Unterstützung und Intervention umfassen,
c) dabei die Schulsozialarbeit mit ihren spezifischen Kompetenzen und Methoden - unter Beachtung ihres Auftrags und ihrer Arbeitsprinzipien - integrieren, (…)“ (Dern, Morys & Müller, 2016, S. 119)
Was leistet die Handreichung nicht?
Sie löst nicht die oft und berechtigterweise formulierte Forderung nach zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen. Netzwerkarbeit passiert nicht nebenbei oder automatisch, dafür werden Zeit und Raum benötigt.
Nachhaltige Schulentwicklungsprozesse können nur gemeinsam und mit der Unterstützung der Schulleitung geschehen. Deshalb soll an dieser Stelle ausdrücklich die Rolle der Schulleitung hervorgehoben werden, verbunden mit der Hoffnung, dass diese das Vorhaben unterstützt.
Zielgruppen
primär:
Akteurinnen & Akteure des innerschulischen Beratungs- und Unterstützungsnetzwerks wie z.B.
• Beratungslehrkräfte,
• Klassen- und Fachlehrkräfte,
• Schulleitung,
• Fachkräfte für Schulsozialarbeit,
• weiteres pädagogisches Personal (u.a. Fachkräfte des Ganztags)
sekundär:
• Fachkräfte im außerschulischen Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk wie
z.B. Jugendhilfe und Schulpsychologie
• Interessensvertretungen (z.B. Koordinierungsstellen der Schulsozialarbeit)
• Steuerungsebene: Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (Dezernentinnen und Dezernenten in den Bezirksregierungen mit der Generale Schulsozialarbeit, der Generale Schulberatung/Schulpsychologie und/oder der Generale Krise und deren Fachberaterinnen und -berater)
Hinweise zur Handhabung
Die Handreichung ist grundsätzlich so aufgebaut, dass je nach Bedarf an unterschiedlichen Stellen angesetzt werden kann. Die Bearbeitung der Arbeitsmaterialien kann in unterschiedlichsten Konstellationen erfolgen: idealerweise in einer Kleingruppe, mit dem gesamten Kollegium und unter Einbezug außerschulischer Partnerinnen und Partner.
▶ Sie bestimmen, was Sie „anpacken“ möchten. Die Handreichung versucht, Ihnen hierfür möglichst viele Ansatzpunkte zu bieten.
Struktur
Die verschiedenen in der Handreichung beschrieben Arbeitsschritte orientieren sich grundsätzlich an dem Modell eines Qualitätszyklus, das leicht modifiziert wurde.
Ausgangspunkt jeder erfolgreichen Qualitätsentwicklung sind ähnliche Motivationslagen für das Vorhaben. Durch die Handreichung ist diese Motivation vorgegeben (vgl. grüner Kreis im Zentrum der Grafik), denn Sie wollen Ihr schulisches Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk weiterentwickeln.
In der Handreichung werden folgende Prozessschritte anhand von Materialien entwickelt:
• Start: Am Anfang steht die Bestandsaufnahme per Ist-Stand Analyse (Kapitel 3).
• Entwicklungsbedarfe werden identifiziert und auf dieser Basis gemeinsam Ziele und Maßnahmen formuliert (Kapitel 4).
• Das Vorhaben wird arbeitsteilig umgesetzt.
• Fest eingeplant werden Phasen der Überprüfung geplanter und laufender Maßnahmen (Kapitel 5).
• Ggfs. werden Teilaspekte angepasst.
• Die Ergebnisse werden gegenüber allen am Prozess Beteiligten sowie der Schulgemeinschaft transparent gemacht und es werden zielgruppenabhängige Formen der Kommunikation gewählt (Kapitel 6).
Zur Orientierung innerhalb der Handreichung wird dieser Zyklus am rechten oberen Rand verkleinert dargestellt. Es ist jeweils der Prozessschritt zusätzlich grau eingefärbt, an dem Sie sich gerade befinden:
Ziel sollte es sein, den Prozess einmal komplett zu durchlaufen und für einen nachhaltigen Schulentwicklungsprozess auch zukünftig regelmäßig anzuwenden.
Die Handreichung bezieht sich auf mehrere im Referenzrahmen Schulqualität genannte Inhaltsbereiche und Dimensionen wie z.B.:
Grafische Symbole und FarbsymbolikIn diesem Kapitel verwendete Literatur:
- Dern, S., Morys, R. & Müller, B. (2016). Bearbeitung und Vermeidung von Diskriminierung. Eine Aufgabe von Schule und Schulsozialarbeit - Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt “SalsA”. In Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (Hrsg.), Jugendschutz geht zur Schule! Kinder- und Jugendschutz als Aufgabe von Schulsozialarbeit (S. 113-120). Berlin.
- Gärtner, H. (2016). Referenzrahmen für Schulqualität, interne und externe Evaluation und ein Modell evidenzbasierter Steuerung. In P. Dobbelstein, B. Groot-Wilken & S. Koltermann (Hrsg.) Referenzsysteme zur Unterstützung von Schulentwicklung (S. 105-124). Münster: Waxmann.
- Rolff, H.-G. (2016). Schnittstellenmanagement in Bildungsnetzwerken. In B. Suthues (Hrsg.) Kommunales Bildungsmanagement und Netzwerkgestaltung:Potenziale und Herausforderungen vernetzter Bildung in der Kommune (S.23-28). Essen: Woeste. Hier als pdf-Dokument verfügbar [zuletzt aufgerufen: 24.04.2023].
- QUA-LiS NRW (2022): Handreichung zur Einbindung des Referenzrahmens Schulqualität in schulische Qualitätssicherung und Entwicklungsprozesse. 2., überarbeitete Ausgabe.