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Leitideen einer theoretisch und empirisch begründeten, unterrichtsbegleitenden Diagnostik

Erfolgreiches Lernen und Unterrichten benötigt die Perspektive der unterrichtsbegleitenden Diagnostik. Im Rahmen der Lern- und Entwicklungsplanung bzw. Lernprozessbegleitung werden Voraussetzungen und Bedingungen planmäßiger Lehr- und Lernprozesse ermittelt, Lernprozesse analysiert und Lernergebnisse festgestellt. Dabei spielen verschiedene Einflussfaktoren eine Rolle, die stets in alle Planungen miteinzubeziehen sind. In der folgenden Grafik sind Leitideen dieser Diagnostik vorgestellt, die Eckpunkte der Planung von Lehr- und Lernprozessen darstellen. Die Leitideen sind anhand von Beispielen aus dem Unterricht illustriert.

Annerkennung: Jedes Kind soll sich als kompetent erleben können und erfahren, dass es geachtet wird.

Nach der ersten Leitidee sind diagnostische Instrumente so konstruiert, dass jedes Kind sich – unabhängig vom Entwicklungs- und Leistungsstand – als kompetent erleben kann. Um diese Leitidee umzusetzen ist sehr breites Spektrum an Kompetenzen in Modellbildungen einzubringen, um die verschiedenen Entwicklungsstände hinreichend beschreiben zu können. Mit einer an Kriterien orientierten Bezugsnorm kann Auskunft darüber erteilt werden, inwieweit ein Kind bestimmte Kriterien erfüllt und eine gewisse Stufe in der Kompetenzentwicklung entsprechend des Modells erreicht hat. Anders als im klassischen Test muss das Kind also nicht eine bestimmte Anzahl aller Aufgaben eines Typs lösen, um eine Mindestpunktzahl bzw. die Durchschnittsnorm zu erreichen, sondern es sind die Aufgaben eines Anforderungsniveaus zu erarbeiten. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten sind die Voraussetzung zum Einstieg in die Phase der nächsten Entwicklung.

Das nachfolgende Beispiel zeigt in Anlehnung an das Modell der individuellen Lernstandsanalysen „ILeA I Lesen“, entwickelt vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin Brandenburg, ein solches Modell. Die Stufen sind breit aufgefächert von früher Literalität bis hin zu höheren Lesefähigkeiten auf der Textebene.Stufenmodell zur Entwicklung der Lesefähigkeiten

Beispiel ILeA I Lesen (LISUM 2011)

Didaktische Diagnostik: Lernstände von Kindern werden analysiert, um den Unterricht zu verbessern.

Laut der Leitidee 2 werden die Entwicklungs- und Lernstände von Kindern in inklusiven Settings mit dem Ziel analysiert, pädagogische Angebote in Kita und Anfangsunterricht auf die Verschiedenheit der Kinder abzustimmen. Diese Diagnostik wird in alltäglichen Situationen oder in standardisierten Spiel- oder Lernsituationen durchgeführt. Genutzt werden Methoden wie Beobachtung, Befragung, Auswertung von Tätigkeitsprodukten und standardisierte Verfahren.

Das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin Brandenburg hat beispielsweise ein Diagnoseinstrument zur individuellen Lernstandsanalyse  (ILeA) entwickelt.  ILeA ist ein lernprozessbegleitendes Verfahren, das auf dem Erheben der Lernausgangslage beruht und es der Lehrkraft ermöglicht, professionell auf den Lernstand des Kindes einzugehen. Im Folgenden ist als Auszug aus dem Material „ILeA 2 Deutsch Rechtschreiben“ die Potsdamer Bilderliste dargestellt, die sich eignet, um den Lernstand im Bereich Rechtschreibung zu erfassen und daraus Konsequenzen für den Unterricht in Bezug auf eine adäquate Förderung zu ziehen. Die Kinder erhalten die Bilderliste mit der Aufgabe, das jeweils passende Wort zu den Bildern zu notieren, die eingangs noch einmal benannt werden. Ermittelt werden kann der erreichte Entwicklungsstand in Bezug auf die Nutzung der alphabetischen Strategie (Phonem-Graphem-Korrespondenz bei Wörtern unterschiedlicher Länge und Komplexität), die von der Mehrzahl der Kinder im zweiten Schuljahr genutzt werden, aber auch hinsichtlich der orthografischen Strategien, die einige Kinder bereits nutzen (Einsicht in Bausteine zur Wortendung -en, -el, -er, in die Morphemkonstanz sowie in Rechtschreibregeln wie die Großschreibung von Nomen am Satzanfang).

Das komplette Lehrermaterial zu ILeA 2 Deutsch Rechtschreiben, in dem auch die Bilderliste zu finden ist, ist verfügbar unter: ILeA (PDF, 845KB) 

ILeA-Bilderliste

Domänenspezifische (Stufen-) Modelle: Die Analyse von Lernständen im Unterricht erfolgt mit Stufenmodellen des Schriftsprach- und Zahlbegriffserwerbs.

Die lernprozessbegleitende Diagnostik von Lernständen im Unterricht erfolgt mit Stufenmodellen des Schriftsprach- und Zahlbegriffserwerbs in den Klassen 1/2 bzw. mit Kompetenzmodellen ab etwa Klasse 3. Diese dienen als „Ordnungsmuster“ für individualisierte Lernangebote in heterogenen Lerngruppen. Stufenmodelle zeigen, auf welchem Kompetenzniveau sich das jeweilige Kind befindet und welche Voraussetzungen nötig sind, um die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen. Sie bieten eine Struktur in dem Sinne, dass Kinder gleiche Inhalte - aber unter Umständen zu verschiedenen Zeitpunkten - erlernen.

Berücksichtigung der Interessen von Kindern: Die Berücksichtigung ihrer Interessen ist ein wichtiger Schlüssel  um einen Zugang zu ihnen zu finden.

Um der Verschiedenheit von Kindern gerecht werden zu können, fordert Leitidee 4, nicht nur domänenspezifische Kompetenzen zu beobachten und zu dokumentieren, sondern ebenso die individuellen Themen und Interessen der Kinder, um einen Zugang zum kindlichen Denken, Fühlen und Wollen zu finden. Unter Umständen sind domänenspezifische Entwicklungen vor dem Hintergrund der individuellen Interessen von Kindern besser zu verstehen. Außerdem können domänenspezifische Angebote gezielter und effektiver akzentuiert werden, wenn die Perspektive der Kinder miteinbezogen wird.

Kind-Umfeld-Diagnose: Die Analyse des Lernstandes erfasst Wechselwirkungen zwischen Kind und Umfeld und nutzt diese für Förderangebote.

Die Analyse des Lernstandes erfasst Wechselwirkungen zwischen Kind und Umfeld und nutzt diese für individuell passfähige Förderangebote. Vor dem Hintergrund der Kind-Umfeld-Beziehungen können domänenspezifische Kompetenzen besser beurteilt und verstanden werden.

Wesentliche zu berücksichtigende Aspekte sind hierbei

  • die Zugehörigkeit zur Kindergruppe, d. h. die Beziehungen zur Peer-Gruppe,
  • körperliche Voraussetzungen,
  • die Familiensituation,
  • besondere Situationen und
  • die Selbstreflexion der Lehrkraft zu dem Kind.

Förderung der Selbstevaluation: Kinder werden angeregt, ihre Lernprozesse selbst zu dokumentieren und zu reflektieren.

Im Sinne dieser Leitidee sollen Kinder aktiv am Lernprozess beteiligt werden und so zur Verantwortungsübernahme für ihr eigenes Lernen angeleitet werden. Sie reflektieren ihren Lernprozess und den aktuellen Lernstand und ziehen Rückschlüsse für die Weiterarbeit. Diesen Aspekt bezeichnet man als self-assessment. Eine Möglichkeit der praktischen Umsetzung von Selbstreflexionsprozessen durch Schülerinnen und Schüler sind zum Beispiel „Logbücher“ oder die Arbeit mit Lerntagebüchern. In einem Logbuch können Aspekte wie Regeln, Ziele, Arbeitsplanungen und Selbsteinschätzungen bezogen auf unterschiedliche Aspekte enthalten sein. Möglich ist es, die Eltern durch Rückmeldungen zu Einträgen ihrer Kinder bzw. der Lehrpersonen am Prozess zu beteiligen.

Arbeitshypothesen: Ergebnisse von jeglicher diagnostischer Analysen sind Bilder, die wir uns von Kindern machen, sie können nicht unmittelbar Realität abbilden.

Das bereits beschriebene formative Assessment als lernprozessbegleitende Diagnostik im Rahmen einer Lern- und Entwicklungsplanung ist ein zyklischer Prozess von Diagnostik und Didaktik. Die Lehrperson diagnostiziert lernprozessbegleitend vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Theorien und einer Kind-Umfeld-Analyse. Sie adaptiert auf dieser Grundlage eine passgenaue Förderung an den aktuellen Lern- und Entwicklungsstand des Kindes und evaluiert sowie reflektiert die dadurch entstehenden Veränderungsprozesse. Es schließen sich weitere diagnostische Erhebungen an. Im Folgenden ist dieser zyklische Prozess grafisch dargestellt.

Grafik: Zyklischer Prozess einer lernprozessbegleitenden Diagnostik und Didaktik  

Quelle: Liebers 2015

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